Ein wirklich dickes Ding

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So könnte man sagen und um dich dafür zu interessieren gibt es nach dem Cover zwei Inhaltsbeschreibungen, drei Bewertungen, ein Appetithappen und zum Schluss noch ein paar Zeichnungen.

 

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                           Der Inhalt

Kurz beleuchtet

 

Können Träume mehr sein als nächtliches Kopfkino und mentale Verarbeitung? Können sie vielleicht sogar das tägliche Leben entscheidend beeinflussen und dabei ihre rein geistigen Dimensionen überschreiten?

Darum und um spirituelles Wachstum aller Figuren geht es in dieser fantasievollen, ziemlich heißen Liebesgeschichte, die zudem locker und humorvoll erzählt vom Anfang bis zum überraschenden Finale mit allerlei Verrücktheiten aufwartet.  

 

Und jetzt etwas länger

 

Manchmal kann beim Träumen mehr geschehen als rein geistig, mentales Aufarbeiten des täglichen Lebens im Schlaf. Etwas in der Art bekommt Mika, ein Deutscher in den Dreißigern schon bald nach dem Aufwachen von Jono zu hören, als er ihm mit erstaunlicher Detailgenauigkeit berichtet, gerade seine Traumfrau gesehen zu haben und das im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einer lebhaft durchträumten Nacht im Schlafwagen durch Thailand zur Insel Lamoi ist er sogar in der Lage sie zu zeichnen, doch mit der geheimnisvoll klingenden Äußerung des älteren, oft recht mystisch daherkommenden Bruders kann er zu diesem Zeitpunkt nicht viel anfangen. Und will es auch nicht, denn obwohl normalerweise durchaus an derartigen Dingen interessiert steht ihm voller Vorfreude auf den allerersten Winterurlaub in warmen Gefilden einfach nicht der Sinn danach, sich mit seinen Schlaferlebnissen zu beschäftigen. Jedenfalls nicht so ausgiebig wie es Jono im Laufe der nächsten Woche für richtig hält, weshalb es eine Weile dauert und weitere Träume braucht, bis Mika akzeptiert, dass es seine um einiges jüngere Traumfrau Sita tatsächlich gibt, beziehungsweise geben wird. Ebenso ihre Mutter, die bereits existiert und zweifellos Jonos große Liebe ist. 

Was eine wichtige Rolle spielt in einem komplizierten Geflecht miteinander verschlungener Fäden aus Raum und Zeit, dessen energiereichste, durch viele Jahre getrennte Knoten oft nicht weit voneinander entfernt sind. Nämlich nur ein paar Traumaugenblicke, welche wiederum dank dem Wirken verschiedener mehr oder weniger geheimnisvoller Kräfte immer öfter miteinander verschmelzen.

 

Aber nicht nur im Schlaf kommt es zu spannenden Begegnungen zwischen allen Figuren, wobei sich Träume und Wirklichkeit immer mehr zu vermischen scheinen, bis… 


              Ein paar Bewertungen

Von Ferdinand Kreuzbach (Buchwerkstatt Berlin):

Andara Thomanns epischer Roman über Traum- und Zeitreisen widersetzt sich bewusst einer Zuordnung zu konventionellen Buchgenres. Provokativ, hocherotisch, mutig und frech lotet er sowohl inhaltliche wie narratologische Grenzen aus, ohne dabei jemals den verschlungenen Handlungsfaden zu verlieren. Er bedient sich dabei konsequent seiner ganz eigenen Sprache, die gerade durch ihre Saloppheit und Schnoddrigkeit eine enorme Vitalität verströmt und einen unweigerlich in Thomanns Kosmos absorbiert, welcher dank seiner bemerkenswerten Detailfülle das dringliche Anliegen des Autors nach spiritueller Öffnung und Erweiterung des Erfahrungshorizonts unverkennbar macht.

 

Vom R.G. Fischer Verlag:

Wir haben Ihr Werk „Verschlungene Fäden“ mit großem Interesse gelesen. Sie haben authentische, glaubwürdige Charaktere geschaffen, der Handlungsbogen ist prall und bunt. Ein lesenswertes Buch von der ersten bis zur letzten Seite.

 

Vom Specht, der das Weben der „Verschlungenen Fäden“ kritisch begleitet hat:

Ein Buch das mir gerade noch gefehlt hat!
Nein, im Ernst, ich habe es ja schon vor längerer Zeit auf dem PC gelesen, was doch sehr mühsam war und mich zu der Äußerung brachte, beim nächsten Mal nur als Buch!
Und da ist es nun, wobei sich der Autor für sein Erstlingswerk einen ziemlichen Brocken aufgehalst hat, den er aber meistern konnte!
Der Leser lernt mit den vier Protagonisten des Buches liebenswerte Personen kennen, die er durch alle Facetten des Lebens begleiten darf. Spannung, Action, Humor, Erotik und mehr sind verpackt in einer spirituellen Traum- und vor allen Dingen Zeitreise, die gut strukturiert ist und einen nicht blöde im Kopf macht.
Außerdem erwarten den Leser ein exotischer, sehr bildlich beschriebener Hauptschauplatz und einige Überraschungen, sowie eine besonders hervorzuhebende Detailtreue und die erfreuliche Tatsache, dass sich der Autor bei aller Fantasie bemüht hat, keine Logikfehler zuzulassen, wodurch die Story in sich immer stimmig bleibt.

Gleich vom Anfang an fühlte ich mich in den Bann der Geschichte gezogen und der Spannungsbogen hält sich gut über die ganze Länge bis zum fulminanten Ende.
Und nun freue ich mich auf mein Buch und darauf, erneut in die Welt des Andara einzutauchen.
Alles in Allem - klare Kaufempfehlung!

 

                 Ein Appetithappen

Wofür ich ein Kapitel gewählt habe, dass nicht nur mir, sondern auch meinem Bruder dem Specht sehr  gefällt.

4. Auf der Fähre

 

   Wenn jetzt so eine Riesenwelle käme, von denen man immer hört, so ein Tsunami, dann wären wir auf diesem Eimer ganz schön im Arsch. Den würde es bestimmt ruzpuz zusammen hauen, aber wahrscheinlich auch jedes andere Schiff, denke ich mir, als es im Bauch der kleinen Fähre, die nur Personen transportiert, ein paar Mal verdächtig rumpelt und grummelt. Hört sich an, wie das Bauchgrimmen eines altersschwachen, sehr hungrigen Drachens, während es etwas nach Diesel müffelt, was aber gut vom frischen, immer mehr zunehmenden Wind von Deck geweht wird. All das scheint normal zu sein und ängstigt mich nicht wirklich, solange die aus zwei älteren, asiatisch aussehende Seeleuten bestehende Besatzung – wahrscheinlich Thais, nehme ich an – gelassen drein schaut und ihr Schiffchen das kabbelige Meer ordentlich durchpflügt. Zum Glück habe ich einen robusten Magen und Seekrankheit ist ein Fremdwort für mich, so dass ich die holprige Seefahrt zur thailändischen Insel Lamoi fast entspannt genießen kann. Obwohl die Sonne noch niedrig steht und sich verzerrt in den Wellen spiegelt, ist es angenehm warm, wie es mir nach dreißig Jahren Warten auf meinen ersten Winterurlaub in den Tropen zusteht.

   Genau, die meiste Zeit war die verdammte Grenze mit Mauer, Sperrzaun, Minen, Selbstschussanlagen und was weiß ich noch im Weg. Tja und dann fehlte lange Zeit das Geld, aber nun ist es so weit. Also Palmen, kühle Drinks mit Schirmchen und vor allem heiße Mädels, ich komme!!

   Na ja, zwei von den Dingen sind garantiert, doch wenn das dritte auch klappen soll, muss ich was gegen meine verflixte Schüchternheit tun, da führt kein Weg vorbei. Ich habe null Ahnung, ob und wie ich das hinkriege, aber wenn nicht jetzt, wann dann. Ich wohne mit dreißig noch bei Mama aufm Dorf in der Nähe von Leipzig, was ich so übel nicht finde, doch bei der Suche nach einer Frau ist diese Konstellation nicht gerade von Vorteil. Bei meinem Job als Lockführer im Braunkohlentagebau gibt sich die holde Weiblichkeit ebenfalls nicht gerade die Klinke in die Hand und für die meisten meiner Freizeitaktivitäten gilt das Gleiche. Beim Fernsehen, Nintendo spielen oder Lesen werde ich gewiss keiner Frau begegnen und beim Laufen übers Land – ich trainiere für meinen dritten Marathon – sind die Chancen auch in etwa so gering, wie die, dass der Papst zum Islam konvertiert. Ein Kneipengänger mit Freundes- und Bekanntenkreis bin ich ebenfalls nicht und bei meinen gelegentlichen Kinobesuchen hat sich noch nie was ergeben, was natürlich daran liegt, das ich mich nicht traue, eine Frau einfach so anzusprechen. Schon gar nicht in der Sauna, in die ich regelmäßig gehe, obwohl ich das Weibliche da sogar unverhüllt geboten bekomme und betrachten kann. Natürlich unauffällig, versteht sich, man weiß ja, was sich gehört. Aber wahrscheinlich ist es genau das. Mir fehlt jegliche Unverschämtheit, die andere Männer dazu befähigt, einfach loszuplappern und wenn es noch so bescheuertes Zeug ist. Ich finde nie die richtige Anmache und erst im Nachhinein fallen mir tolle Worte und Sprüche ein, die bei der nächsten Gelegenheit wieder wie weggewischt sind. Und beim Malen, meiner Lieblingsbeschäftigung, bin ich auch allein, was in der Natur der Sache liegt, da ich mich zur Zeit auf Landschaften spezialisiert habe.

   Vielleicht muss ich mich ja doch mehr an Menschen heran trauen, beim Malen und auch sonst. Die Ortsveränderung allein wird’s nicht bringen, ich muss über meinen Schatten springen, was immer dabei herauskommen mag. Am besten fange ich gleich hier und sofort damit  an, überlege ich, während ich mich umschaue und feststelle, dass ich das komplette Deck einsehen kann. Ich sitze achtern quer zur Fahrtrichtung auf der großen meiner beiden Reisetaschen am Rande eines riesigen Gepäckhaufens, der die verschiedensten Behältnisse birgt. Taschen, Koffer und Rucksäcke aller Größen, Formen und Farben, neu und schmuck oder alt und abgewetzt, so unterschiedlich wie die dazu gehörigen etwa vierzig Touristen, aus deren babylonischen Sprachgewirr ich ab und zu einige Brocken heraus filtern und ihren Nationalitäten zuordnen kann. Englisch und Amerikanisch überwiegen, aber es wird auch Französisch, Schwedisch, Holländisch und sogar Deutsch gesprochen. Ein paar Thais, alles Männer, sind ebenfalls an Bord und gehen ihren Geschäften nach, die darin bestehen, Gäste für Hotels zu gewinnen, wozu sie Broschüren mit schönen Farbfotos herum zeigen. Bei mir war schon einer, aber ich habe den Rat meines älteren Bruders Jono beherzigt und mich nicht bequatschen lassen, zumal ich sowieso nicht viel verstanden habe. Er möchte lieber vor Ort auf der Insel nach einem passenden Quartier zu suchen, falls in seinem Stammressort alles belegt ist. Also habe ich mir die Fotos brav angeschaut und ab und wann anerkennend mit dem Kopf genickt ohne irgendwelche Zustimmung zum Ausdruck zu bringen, was mir wohl recht gut gelungen ist. Auf jeden Fall trollte sich der Typ nach einer Weile mit enttäuschter Miene und inzwischen hat es sich offenbar herumgesprochen, dass bei dieser Langnase nichts zu holen ist, denn weitere Offerten bleiben aus und ich kann mich ungestört umschauen.

   Apropos Jono, wo treibst du dich eigentlich rum? Ich kann ihn nicht entdecken und nehme an, dass er mal aufs Klo gegangen ist, da er mit Wellengang nicht so gut klar kommt wie ich. Da muss er durch und allzu lang soll die Fahrt ja nicht dauern, doch genug für mich, um auf ‚Brautschau’ zu gehen. Na ja, eigentlich bleibe ich erst mal sitzen und begutachte von meinem Platz aus, was das Schicksal für mich vorgesehen hat.


Bis auf wenige Ausnahmen scheinen alle der leicht bekleideten Touristen Neuankömmlinge zu sein, jedenfalls spricht ihre helle Winterhaut dafür, so wie bei mir. Überwiegend sind es jüngere Leute und nur wenige haben mein Alter oder sind älter, wobei sich die Verteilung der Geschlechter in etwa die Waage hält. Das macht zu Beginn meiner Sichtung also ungefähr zwanzig potentielle Kandidatinnen, aber schon auf dem ersten Blick sehe ich, dass es den Unterschied zwischen Kino und Wirklichkeit auch auf einer thailändischen Fähre gibt. In der bunten Flimmerwelt hätte mir im Gegensatz zu hier in einer solchen Szene sicher die Mehrzahl der Frauen gefallen und wäre in die engere Wahl gekommen, vielleicht sogar mit der Tendenz, meine Traumfrau zu werden. Zu der gehören natürlich auch innere Werte, aber die sind ja erst mal nicht zu sehen, weshalb sie keine Rolle spielen können. Ich glaube sowieso mehr an stimmende Chemie und überspringenden Funken, wobei der Sehsinn nun mal die erste Entscheidung fällt. Deshalb schraube ich meine Ansprüche an das Äußere um Einiges zurück, bin ja schließlich auch kein Adonis mit einem eher kleinen Stockmaß und zwei angedeuteten Rettungsringen in der Leibesmitte, die unbedingt weg müssen, sowie den nicht mehr zu übersehenden Ecken eines Geheimrats. Der äußere Schein trügt allerdings, denn mit dem Gehalt eines so betitelten, gut besoldeten Beamten oder einem Goldesel im Stall kann ich nicht punkten, also schaue ich noch mal genauer in die Runde, natürlich etwas weniger begeistert, da die Suche mit geminderten Ansprüchen nun mal nicht so erquicklich ist.  

   Die Damen und solche, die es werden wollen, stehen und sitzen überall an Deck in Gruppen und Paaren, nur zwei sind allein, weshalb ich mir die bis zum Schluss aufhebe. Einige der andern schließe ich gleich zu Beginn aus, weil sie eindeutig in festen Händen sind. Da habe ich meine Prinzipien, auch wenn es mir nicht leicht fällt, da einerseits ein paar für die engere Wahl dabei sind und andererseits meine imaginäre Liste auf elf verbliebene Frauen zusammen schrumpft. Jono, der sich immer noch nicht blicken lässt, stört sich auf der Jagd nicht an festen Bindungen, aber in dieser Hinsicht ist er mal nicht mein Vorbild. Ich will nicht in fremden Revieren wildern, weil ich im umgekehrten Fall auch recht angepisst wäre.

   Falls es jemals dazu kommen sollte, schleicht sich heimtückisch in meinen Kopf und wird energisch von mir in eine hintere Ecke gedrängt. Leider nimmt die Anzahl potentieller Partnerinnen weiter ab, weil einige Attribute auch beim besten Willen nicht mit meinem Gefallmuster harmonieren, wobei es fast immer das Gesicht ist, das mich nicht anspricht oder gar abschreckt. Ist schon ein sehr wichtiges Kriterium für mich, aber entschieden zu viele Pfunde spielen auch zweimal eine Rolle. Immerhin bleiben fünf Frauen übrig, von denen eine sogar allein herum steht und aufs Meer schaut.

   Na Klasse, bestens, einfach großartig! Vier haben sich mittlerweile eine Zigarette in den Mund geschoben und Rauchen geht ja gleich gar nicht. Da will ich auf gar keinen Fall ran und schon der Gedanke an einen verqualmten Kuss schüttelt mich bei entsprechend angewiderter Miene. Zum Glück scheint die allein Herumstehende, eine schnuckelige Rothaarige, nicht diesem Laster verfallen zu sein, aber ich warte lieber noch eine Weile, um sicher zu gehen. Na gut, eigentlich warte ich, weil ich blockiert bin und auf das Wunder hoffe, dass sie mich anspricht, was natürlich nie passieren wird.

   Verdammt, ich sitze wie ein Häufchen auf einem Haufen und trau mich nicht. Mir fällt keine Anmache ein und mein eingerostetes Englisch wirkt auch nicht gerade anspornend auf meinen Unternehmungsgeist. Also hocke ich weiter so lange auf meinem Hosenboden und grüble über die zunehmende Rolle der wachsenden Bedeutung, bis es kommt, wie es kommen muss.

Ein blonder Typ, etwa in meinem Alter, hält das Deck einer Fähre offenbar auch für ein hervorragendes Terrain zur Kontaktanbahnung. Er sieht mir sogar ein bisschen ähnlich, allerdings hat er mehr Chuzpe und spricht das Objekt meiner Begierde einfach locker an mit dem simplen: „Where are you from?“, was dazu führt, dass die beiden wenig später heftig miteinander flirten.

   Mist, das hätte ich auch hinkriegen können, warum bin ich nur so blöd?, denke ich und hoffe darauf, dass sie nun doch noch zu rauchen anfängt. Macht sie aber nicht und es dauert etwas, bis ich mir nicht mehr in den Arsch beißen will und darauf vertraue, dass weitere Chancen kommen werden, die ich dann auch wieder vermasseln kann.

   Na nun aber nicht so negativ Mika, du hast Urlaub und alles wird gut, rede ich mir ein und lass meinen Blick sicherheitshalber noch mal umher schweifen, man weiß ja nie. Aber wenn ich mich auf was verlassen kann, ist es meine Gründlichkeit, die manchmal schon an Pedanterie grenzt und dafür gesorgt hat, dass mir keine Frau durch die Lappen gegangen ist. Jedenfalls nicht optisch. Im überdachten und geschlossenen Passagierraum des Decks hält sich auch niemand auf, da Sonnenschutz noch nicht vonnöten ist. Doch lange kann es nicht mehr dauern, bis die fette, gelbe Gaskugel gefährlich wird, vor allem für Blonde und Rothaarige, wie das frischgebackene Pärchen, das gerade den Platz an der Reling verlässt und Richtung Bug zu eben diesem Raum geht. Vielleicht suchen sie ja auch keinen Schutz, sondern etwas Abgeschiedenheit.  

   Wenigstens hat Jono die Pleite nicht gesehen. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Ich schaue den Beiden grimmig mit Wut auf mich selbst nach, doch als ich meinen Kopf wieder nach Backbord richte und freie Sicht aufs Meer erwarte, traue ich meinen Augen nicht. Wie vom Schlag gerührt starre ich auf das eben noch freie Geländer, denn da ist sie. Die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens oder wenigstens eine enorm lange Zeit verbringen will. Klingt kitschig und völlig abgedreht, zumal ich sie nur von hinten sehe, aber ich weiß es und habe nicht den geringsten Zweifel, dass mich auch ihre Vorderseite aus den Sandalen schlagen wird. Es muss Magie sein, eine Art von Energie, irgendwas Unerklärliches, das mich befallen hat und ohne Wenn und Aber an Liebe auf den ersten Blick glauben lässt. In der Tat strahlt die Gestalt eine ätherisch, mystische Aura aus. Schlank und grazil, beinah knabenhaft, mit ihren Händen auf dem Geländer steht sie da wie hingegossen und gerade dem Meer entstiegen, was der Fall sein muss, denn ich bin mir absolut sicher, dass sie vor einem Moment noch nicht da war und ich sie auf dem Schiff auch nicht übersehen habe. Sie hat etwa meine Größe, ist gut gebräunt und trägt ein asymmetrisch geschnittenes, kurzes Kleid mit einem interessanten Muster. Sieht aus wie der Panzer einer Schildkröte, wird aber federleicht vom Wind bewegt und umspielt ihre schlanken und doch muskulösen, wahrscheinlich durch Sport geformten Schenkel. Es sitzt perfekt wie auf den Leib gesprüht, weshalb der knackige Po dieses Zauberwesens, so gut zur Geltung kommt, dass ich gar nicht anders kann, als drauf zu glotzen. Dabei habe ich plötzlich das Gefühl, von irgendjemand beobachtet zu werden. Ich spüre einen Blick auf mir ruhen, was nicht mal unangenehm ist, doch beim Umschauen kann ich nichts dergleichen entdecken.

   Hey Jono, hast du dich vielleicht irgendwo versteckt? Würde ja zu dir passen, Schlawiner, der du bist, mutmaße ich, halte mich allerdings nicht lange damit auf, denn ich habe Angst, dass meine Zaubermaus genauso schnell wieder verschwindet, wie sie gekommen ist. Tut sie aber nicht. Nach wie vor umfasst sie locker die Reling und schaut aufs Meer, das mit ihrem Erscheinen noch etwas unruhiger geworden ist. Der Wind hat eindeutig weiter an Stärke zugelegt und würde sicher ihr Haar zerzausen, was er aber nicht kann, da er keine Angriffsfläche vorfindet. Mit raspelkurzen, rotblonden Haaren und kleinen, putzigen, beinah durchsichtigen Segelohren ist ihr Kopf – Po hin oder her – der eigentliche Blickfang, jedenfalls für mich, denn genau darauf stehe ich.

    Bin ich deshalb so hin und weg? Vielleicht, aber da muss noch was Anderes sein, überlege ich, während ich mich an ihrem Anblick weide, ganz darin versinke. Fast scheint es, als ob sie nur für mich da steht und von niemand anderem beachtet, ja nicht einmal wahrgenommen wird. Bis jetzt hat sie sich noch keinen Millimeter bewegt und ich befürchte tatsächlich, dass ich vielleicht einem Trugbild aufsitze, produziert von meinem sehnsüchtigen Geist, von meinem Verlangen nach Weiblichkeit.

   Kann das sein? Ist so was möglich? Und wenn ja, wie? Solche und ähnliche Fragen gehen mir im Kopf herum, weshalb ich mich dazu zwinge, ein paar mal kräftig zu zwinkern und die Augen für einen Moment fest zu verschließen.

   Ich sehe bestimmt ziemlich bescheuert aus, aber bitte, bitte an alle Götter der Welt, lasst sie bitte, bitte nicht weg sein!, flehe ich, bevor ich langsam erst das linke und dann das rechte Auge öffne. Meine Befürchtung verfliegt, wird vom Wind weg geblasen, denn sie ist noch da und rührt sich nun, als wolle sie ihre Existenz beweisen oder mir klar machen, dass mit meinem Verstand alles in Ordnung ist. Was nicht ganz klappt, denn sie bewegt sich nicht einfach, sondern tanzt und zwar so, dass es nicht oder nur beinahe von dieser Welt sein kann. Es ähnelt entfernt dem chinesischen Schattenboxen, dem Tai Chi, das ich von Jono kenne, allerdings wirklich nur annähernd. Er übt seit einigen Jahren jeden Tag und ist inzwischen ganz gut, aber im Vergleich zu ihr nehmen sich seine Schritte und Bewegungen wie das unbeholfene Stolpern und Schlenkern eines Kleinkindes aus. Zu Beginn immer noch mit dem Rücken zu mir hat sie kaum Bodenhaftung, schwebt nahezu, wobei sie laufend das Tempo variiert von Zeitlupe bis superschnell, was ich besonders faszinierend finde. Da kreisen Hände und Arme gerade noch sanft und langsam wie fallende Daunen und stoßen schon im nächsten Moment zu wie tödliche Schlangen. Füße und Beine durchschlagen blitzschnell nicht vorhandenen Beton, bevor sie einen Augenblick später verspielt herumtanzen oder machtvoll dahin gleiten. Sie folgt offenbar einer bestimmten Musik in ihrem Inneren so präzise und anmutig, dass ich die Klänge fast zu hören meine, wahrscheinlich was Klassisches mit großem Orchester. Es sieht auf jeden Fall mehr nach Tanz als nach Sport aus, wie sie komplizierte Abfolgen in faszinierender Einfachheit meistert.

Und als ich sie das erste Mal im Profil sehe und sie auf etwas sechzehn, siebzehn schätze, bin ich nicht überrascht, aber begeistert, da sich meine Erwartung mehr als erfüllt. Blaue, blitzende Augen, eine süße Stupsnase, volle Lippen und ein mächtiges Kinn, das mich an Drew Barrymore erinnert, die mir schon immer gefallen hat. Die Darbietung lässt mich aus dem Staunen nicht herauskommen, doch am meisten verblüfft mich die Reaktion der anderen Passagiere, es gibt nämlich keine. Keine Blicke, kein Hinweisen, kein Tuscheln, gar nichts, als sei diese Vorstellung das Selbstverständlichste von der Welt, was mich wieder grübeln lässt, da ich am liebsten aufspringen und meine Begeisterung kundtun will.

   Habt ihr Tomaten auf den Augen? Was ist los mit euch, möchte ich brüllen oder jeden Einzelnen kräftig durchschütteln, doch das mache ich natürlich nicht. Stattdessen kommt mir wieder der merkwürdige Gedanke, dass nur ich sie sehen kann, ehe ich nach plausibleren Erklärungen suche.               

   Vielleicht fährst du ja laufend mit dieser Fähre und bist bekannt wie ein bunter Hund. Blödsinn, das würde ja nur für das Personal oder die Hotelwerber gelten. Oder bin allein ich so begeistert, weil ich dich für meine Traumfrau halte? Kann ich mir auch nicht vorstellen. Das ist doch hohe Kunst, was du da machst. Mist, wo treibt sich Jono nur rum, der hätte bestimmt 'ne Idee. Oder ist er mit von der Partie. Vielleicht bin ich bei der ‚Versteckten Kamera’ fürs thailändische Fernsehen? Quatsch! Meine Reaktionen sind bestimmt nicht publikumswirksam, bringen kein Schwein zum Lachen. Das und Ähnliches tickert durch meine Omme, bis mir die schräge Idee, dass die schöne Tänzerin wirklich nur für mich da ist, gar nicht mehr so verquer erscheint. Außerdem hat sie ihre Show gerade mit einer Verbeugung zum Meer beendet und ich bin gespannt, ob sie noch was macht oder ich nun gefragt bin mit Mut und Entschlossenheit für eine originelle Anmache.

   Die nimmt mir niemand weg, versteht ihr! Niemand!! versuche ich mich anzustacheln, bis ich erschrocken bemerke, dass ich den Satz tatsächlich lauthals übers Deck gebrüllt habe. Es müssen alle gehört haben und ich kann nur hoffen, dass die meisten Leute kein Deutsch verstehen. Sogleich spüre ich mich von Blicken durchbohrt. Erschreckte, erstaunte, verlegene, mitleidige, ja sogar ein paar ärgerliche sind dabei und so mancher Kopf wird geschüttelt, was mich nach einem passenden Ruzpuz-Verschwindeloch suchen lässt. Ohne Erfolg, offenbar sind die auf Fährschiffen dünn gesät oder nicht vorhanden. Bleibt nur noch die Unschuldstour, bei der ich mich wie der eindeutig identifizierte Furzer nach anderen Verdächtigen umschaue, bis sich die Lage beruhigt hat. Zum Glück dauert es nicht lange und die Hoffnung, dass meine Zaubermaus das Gebrüll nicht mir zugeordnet hat, scheint sich auch zu erfüllen. Jedenfalls wendet sie sich nicht um, sodass ich sie immer noch nicht von vorn gesehen habe, als sie erneut zu tanzen beginnt, was mich nicht wundert, da Jono seine Tai Chi-Übung auch immer mindestens einmal wiederholt.

   Soll mir recht sein, es ist wunderschön und gewährt mir eine Gnadenfrist, freue ich mich und erwarte, den kompletten Tanz noch einmal zu sehen, bis mir klar wird, dass ich was Neues geboten bekomme. Statt einer durchlaufenden Choreographie, bei der ständig andere Bilder auftauchten, wiederholen sich jetzt drei wuchtige, komplexe Bewegungen immer und immer wieder, was nicht weniger reizvoll ist. Und noch etwas ist neu und belebt den Gedanken, an eine nur für mich inszenierte Show, die nach folgendem Muster abläuft:

   Blick zum Meer, Blick nach rechts, Blick zum Meer, Blick nach links und wieder von vorn, aber der dritte Durchlauf endet mit – ich halte den Atem an – Blick zu mir. Nicht nur in meine Richtung, nein, wirklich mit Karacho zwischen die Lichter mitten ins Herz trifft mich ihr feuriger Augenstrahl und zum ersten Mal geht neben Eleganz, Anmut und Schnelligkeit auch unbändige Kraft von ihr aus. Aber das ist nicht alles. Unvermittelt bringt sie ihre Stimme ins Spiel, die mir durch und durch geht.

   „Ta! Ga! Wa!“, tönt sie bei jedem Richtungswechsel in verschiedenen Tonlagen, eine Silbe für jede Seite, laut, dröhnend, mir in Mark und Bein fahrend, doch immer noch achtet niemand darauf, geschweige denn nimmt Anstoß daran.

   Das kann doch nicht sein! Was ist hier los? Jono, wo bist du? frage ich mich, während ihre Stimme stärker und stärker in mich dringt.

   „Ta! Ga! Wa!“, noch lauter, noch drängender, erfüllt mich zur Gänze und reißt jeden störenden Gedanken aus meinem Hirn. Unterstützt von ihren Armen und Beinen, ihrem ganzen Körper, der in wirbelnden Flammen zu stehen scheint, die auf mich übergreifen.

   „Ta! Ga! Wa!“, fürwahr, das tun sie, ich brenne voller Leidenschaft wie noch nie in meinem Leben, brenne für diese Frau, die ich vor ein paar Minuten noch nicht gekannt habe und doch schon Jahre zu kennen glaube. Geboren aus meinen Wünschen und Träumen steht sie leibhaftig vor mir und lässt mich erschaudern.

   „Ta! Ga! Wa!“, gleich Peitschenhieben zwirbeln mir die Silben ins Gebein, in meinem trägen, ängstlichen Leib, der immer noch auf dem elenden Gepäckhaufen gluckt, wie die Henne auf dem Nest, aber nichts legt oder ausbrütet. Es braucht nicht viel Phantasie, um „Ta! Ga! Wa!“ in „Hoch mit dir!“ zu verwandeln und es wirkt sogar, bringt mich auf die Beine.

   „Ta! Ga! Wa!“, spornt sogar den Wind an, braust das Meer weiter auf, lässt die Sonne heller scheinen. Eine magische Kraft, die Elemente beschwört, der ich nichts entgegen setzen kann, der ich folgen will, auch wenn mir die kurzen Hosen schlottern. Da gibt es keine Wahl, keinen Widerstand, nur ein kurzes Zögern, bis ein letztes „Ta! Ga! Wa!“ auch dieses aus mir heraus glüht, ehe der Zauber verfliegt, was leider passiert, als sie sich verbeugt und mir zuzwinkert.

Trotzdem gehe ich vorwärts und bin bereit, sie ohne Verzug anzusprechen, ohne zu eiern, ohne zu stottern, denn die Worte liegen mir schon ganz vorn auf der Zunge und sehnen sich danach heraus zu sprudeln. Ich werde ihr einfach für das grandiose, unglaubliche Schauspiel danken und mich vorstellen. Alles Weitere wird sich finden, aber dazu kommt es nicht.

 

Ohne Vorankündigung wird es auf einmal feuchtkühl an Deck und lässt mich frösteln, doch der Schauder, der mir das Rückrad entlang fährt, ist nur zum Teil der plötzlichen Abkühlung geschuldet. Hauptverantwortlich dafür ist der Anblick einer gewaltigen Wasserwand, die mit Rauschen und Getöse hinter meiner Traumfrau aufsteigt, was sie zu meinem Entsetzen gar nicht bemerkt. Aber vielleicht ja doch, denn just mit dem Auftürmen des Wassers ins Unermessliche beginnt sie wieder zu tanzen, so als wolle sie die Welle damit bändigen, was ein Teil von mir tatsächlich für eine gute Idee hält, während ein anderer es aber so was von blödsinnig findet.

   „Ta! Ga! Wa!“, brüllt sie dabei immer wieder mit aller Kraft und scheint mit der Kombination aus Stimme und Tanz tatsächlich etwas bewirken zu können. Zumindest bei mir, denn ich habe plötzlich das Gefühl, bei jeder Silbe eine Portion Energie abgezogen zu bekommen. Zuerst undeutlich und dann immer klarer sehe ich so etwas wie eine flimmernde Linie zwischen uns Beiden, die aus unser beider Nabel kommend bei jedem Energieklau vibriert.

   Nun, wenn du damit die Welle aufhalten kannst, bin ich gern bereit reichlich davon zu geben, schicke ich – inzwischen mehr fasziniert als entsetzt – telepathisch die Energielinie entlang, wobei ich entdecke, wie die anderen Passagiere offenbar ebenfalls über solche Linien oder Fasern angezapft werden. Keine Ahnung, ob sie damit einverstanden sind, aber ich wurde ja auch nicht gefragt, weshalb ich eher von einer bizarren Massenvergewaltigung im Dienste der Schiffsrettung ausgehe. Andererseits kommt mir das Verhalten der Leute – gelinde ausgedrückt – nach wie vor sehr seltsam vor. Sie essen, trinken, schwatzen, knutschen, albern rum und machen was weiß ich noch, doch kein Schwein kümmert sich um die Wasserwand oder das, was meine Traumfrau treibt, als sähen sie weder das Eine noch das Andere oder hielten es für unbedeutsam.  

   „Ta! Ga! Wa!“ Die Silben dröhnen jetzt extrem lang gezogen und so laut übers Deck, dass sie keinesfalls zu überhören sind. Mir jedenfalls gehen sie durch und durch und während mir vorhin immerhin ein paar annehmbare und blödsinnige Erklärungsversuche in den Sinn gekommen waren, fällt mir jetzt angesichts der drohenden Katastrophe nichts mehr ein. Weder zur Gleichgültigkeit der Leute noch zu den immer erstaunlicheren Geschehnissen, die ich allenfalls einigermaßen beschreiben, aber überhaupt nicht begreifen kann. Irgendwo in einem versteckten Winkel meines Hirns meine ich zwar noch einen genialen Erklärungsgedanken verschwommen und flackernd wie ein Irrlicht wabern zu sehen, jedoch ohne die geringste Chance, die damit verbundene Erkenntnis abgreifen zu können.

   Es ist bestimmt möglich, das alles erklärlich zu plausibeln, nur ich kann’s nicht, albere ich etwas verkrampft mit meiner Unwissenheit herum, um die Drohung des Wassers zu kompensieren, das inzwischen tatsächlich über dem Schiff ist, aber nicht aufs Deck klatscht. Zurück gehalten wird es von einer Art elastischen, pulsierenden Glocke, die ebenso flimmert wie die Energielinien, die weiterhin für Nachschub sorgen.

   „Ta! Ga! Wa!“ Inzwischen macht sich der Verlust an Energie bei mir bemerkbar und ich hoffe, dass die Welle bald komplett über uns hinweg gerauscht ist. Obwohl ich sicher noch eine Weile durchhalten könnte, wird der Wunsch, es möge bald vorbei sein, beinah übermächtig mit Tendenz zur Panik, als sich die Schutzglocke ein paar Mal bedrohlich nach innen beult. Offenbar hat das Ungeheuer aus Wassermassen noch nicht aufgegeben, unser kleines Fährschiff wie einen köstlichen Happen verschlingen zu wollen.

   „Ta! Ga! Wa!“, scheint mir auch leiser zu werden und der Tanz weniger kraftvoll, weshalb ich mich frage, ob ich meiner Traumfrau durch Verkürzung der Entfernung zwischen uns vielleicht sogar durch direkten Kontakt helfen könnte. Kommt mir wie eine gute Idee vor, doch ich möchte auf keinen Fall einen Fehler machen, weshalb ich per Blickkontakt versuche, mein Angebot irgendwie rüberzubringen, was ich allerdings besser hätte lassen sollen. Wahrscheinlich habe ich damit ihre Konzentration nur für einen winzigen Moment gestört, doch das reicht dem gewaltigen Wassermonster, um eine Bresche in die Schutzglocke zu schlagen. Es geschieht rasend schnell mit ohrenbetäubenden Getöse und lähmt mich, sodass ich nur noch in Zeitlupe, wie durch einen zähen Brei voran komme, weshalb das Wasser gewinnt und mir etwas Hartes gegen den Kopf schlägt, aber…   

 

Zu den Kapitelüberschriften gehören auch Zeichnungen, von denen ich zum Abschluss einige zeigen möchte, um vielleicht noch ein bisschen mehr Neugier zu wecken.

 

Amüsiert schmunzeln oder lauthals lachen?

Gerührt ein paar Tränen verdrücken oder rauslassen?

Staunen und hoch gespannt sein oder Interessantes erfahren?

 

Alles zu haben, also ran an das dicke Ding namens "Verschlungene Fäden", das du in jedem Buchladen kaufen kannst oder bei verschiedenen Händlern im Internet, die es in der Regel auch als E-Book anbieten.